„Geschädigte dürfen bei fiktiver Abrechnung des Schadens auf Gutachtenbasis von der gegnerischen Haftpflichtversicherung auch dann die im Gutachten angesetzten Lohnnebenkosten und Sozialversicherungsbeträge verlangen, wenn das beschädigte Fahrzeug nicht repariert wird.
Dies entscheid jetzt der für das Versicherungsrecht zuständige sechste Senats des Bundesgerichtshofs (BGH Urteil vom 19.02.2013VI ZR 69/12).
Im entschiedenen Fall war die Haftung der Versicherung unstrittig. Der Geschädigte ließ das Fahrzeug nicht reparieren, sondern rechnete auf der Basis eines Gutachtens ab. Darin hatte der Sachverständige die Reparaturkosten kalkuliert, die im Falle einer Reparatur anfielen. Unter anderem waren darin auch Lohnnebenkosten und Sozialversicherungsbeiträge von Werkstattmitarbeitern angesetzt, die vom Geschädigten zu zahlen sind, wenn er sein Fahrzeug reparieren lässt.
Der Schaden wurde zum Großteil von der Versicherung übernommen. Allerdings lehnte die Kfz-Haftpflichtversicherung des Schädigers ihre Eintrittspflicht in Höhe von zehn Prozent ab, weil infolge der nicht erfolgten Reparatur die Lohnnebenkosten und die Sozialversicherungsbeträge nicht angefallen seien.
Insoweit gelte nichts anderes als bei der Umsatzsteuer. Diese erhält der Geschädigte nach § 249 Absatz 2 Satz 2 BGB nur dann erstattet, wenn diese auch tatsächlich angefallen ist. Für Lohnebenkosten und Sozialversicherungsbeträge gelte daher auch nichts anderes. Außerdem berief sich die beklagte Versicherung auf das Wirtschaftlichkeitsgebot und das Bereicherungsverbot, das der Geschädigte zu beachten habe.
Dagegen erhob der Geschädigte erfolgreich Klage (Amtsgericht Landshut 3 C 1860/11 Urteil vom 11.11.2011). Die beklagte Versicherung scheiterte auch in der Berufungsinstanz (Landsgericht Landshut Urteil vom 03.02.2012 14 S 2923 /11).
Auch die gegen das Berufungsurteil gerichtete Revision der Versicherung hatte keinen Erfolg. Die Karlsruher Richter bestätigten unter Hinweis auf die ständige Rechtssprechung die Auffassung des Berufungsgerichts, wonach die Regelung der § 249 Absatz 2 Satz 2 BGB nur für die Umsatzsteuer gilt.
Eine analoge Anwendung auf andere öffentlich-rechtliche Schadenspositionen kommt nicht in Betracht.
Eine analoge Anwendung setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus, also dass der Gesetzgeber bei Schaffung der Regelung -salopp gesagt- vergessen hat, auch andere öffentlich-rechtliche Schadenspositionen dem Geschädigten nur dann zuzugestehen, wenn diese bei einer tatsächlichen Reparatur auch anfallen wären. .
Der BGH wies darauf hin, dass im ursprünglichen Gesetzentwurf bereits vorgesehen war, bei fiktiver Abrechnung dem Geschädigten nur dann einen Anspruch auf diese öffentlich-rechtlichen Schadenspositionen nur dann zuzubilligen, wenn diese auch tatsächlich anfallen. Dies stieß im Gesetzgebungsverfahren auf erhebliche Kritik. Daher wurde der ursprüngliche Entwurf zur nun geltenden Fassung des § 249 Absatz 2 Satz 2 BGB abgeändert, wonach nur dann die Umsatzsteuer dem Geschädigten erstattet wird, wenn diese auch wirklich anfällt.
Auch mit ihrem Hinweis auf das Wirtschaftlichkeitsgebot, also dass der Geschädigte unter mehreren Möglichkeiten einer Schadensbehebung die wirtschaftlichste wählen muss, drang die Beklagte nicht durch. Dies kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil im Fall des Schadenseintritts das Vermögen des Geschädigten um den Betrag gemindert ist, der erforderlich ist, um den Schaden fachgerecht zu beheben. Dazu gehören auch allgemeine Kostenfaktoren wie Lohnnebenkosten und Sozialversicherungsbeiträge (BGH Urteil vom 19.066.1973 ZR VI 46/72).
Ein Verstoß gegen das Bereicherungsverbot ist nicht ersichtlich. Denn der Geschädigte kann nach der gesetzlichen Regelung den zur Herstellung des Zustands, der bestünde, wenn das Schadensereignis nicht eingetreten wäre, erforderlichen Geldbetrag verlangen (Integritätsinteresse).
In der Verwendung dieses Betrags ist er frei (Dispositionsbefugnis). Verzichtet der Geschädigte auf eine Reparatur oder lässt nur eine Billigreparatur durchführen, bleibt der entsprechende Wertverlust gleichwohl bestehen. Es macht auf dem Kfz-Markt einen erheblichen Unterschied, ob man ein in einer Marken-Fachwerkstatt vollständig repariertes Fahrzeug kauft oder nur ein billig oder teilweise repariertes Auto. Folgte man der Auffassung der Versicherung, wäre dies die faktische Abschaffung der Dispositionsbefugnis des Geschädigten.
Mit einer missbräuchlichen Bereicherung des Geschädigten hat dies nichts zu tun, so die obersten deutschen Zivilrichter im Urteil.
Das Urteil hat Signalwirkung für die derzeitige Kürzungswelle der Haftpflichtversicherer . Diese kürzen unter Hinweis auf den Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und das VW-Urteil des BGH (BGH Urteil vom 20.10.2009 VI ZR 53/09) auch andere Schadenspositionen (UPE-Aufschläge, Lackierkosten, Stundensätze etc.) bei fiktiver Abrechnung auf Gutachtenbasis.
Denn dem besprochen Urteil ist klar zu entnehmen, dass eine fachgerechte Reparatur in einer Markenwerkstatt auf dem Kfz-Markt einem Fahrzeug einen höheren Wert beimisst, als in einer freien Werkstatt. Daher kann dieses Argument auch herangezogen werden, um der Verweisung auf eine Billigwerkstatt durch die Versicherung argumentativ zu kontern, wenn man nicht nachweisen kann, dass das beschädigte und mehr als drei Jahre alte Fahrzeug bisher immer in einer Markenwerkstatt gewartet wurde.
Nachtrag: Mittlerweile sind ähnliche Urteile (BGH Urteil vom 19.02.2013 VI ZR 401/12 BGH Urteil vom 19.02.2013 VI ZR 220/12) des Bundesgerichtshof veröffentlicht worden.“
Quelle: Artikel von Christian Maas auf pressekostenlos.de, vom 05.04.2013.